Seit Oktober 2022 besitzt Heiko Butscher beim VfL Bochum 1848 eine Doppelfunktion. Neben seinem Amt als U19-Trainer ist er Sportlicher Leiter des Talentwerks. Der nächste Schritt in seiner langjährigen Vereins-Vita. Im Interview spricht Butscher über die aktuelle Situation in der U19, seine ersten Monate in Doppelfunktion, den VfL-Weg und den Austausch mit VfL-Cheftrainer Thomas Letsch.

Heiko, vergangene Saison wurdet ihr Vierter in der A-Junioren Bundesliga West. Zur Qualifikation für die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft fehlte nicht viel. Nun beträgt der Rückstand auf Platz zwei schon elf Punkte. Wie fällt dein Vergleich der beiden Spielzeiten aus?
Ich betrachte die beiden Saisons differenziert. Im vergangenen Jahr hatten wir eine komplett andere Mannschaft, die ganz anders zusammengestellt war. Wir haben eine herausragende Positionierung erreicht, hatten einen 2er-Punkteschnitt. Von den Ergebnissen waren wir sehr zufrieden, bewerten aber erst einmal die Entwicklung jedes einzelnen Spielers und auch der Mannschaft. Diese Bewertung fiel sehr positiv aus. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass der VfL Bochum unter den Top-5-Vereinen steht, bei den vielen Schwergewichten in der A-Junioren Bundesliga West. Das war ein absolut herausragendes Ergebnis. Danach haben uns elf Spieler verlassen. Wir mussten wie jedes Jahr eine neue Mannschaft aufbauen.

Was läuft in dieser Saison anders?
Es hat etwas länger gedauert, bis wir unsere Leistung konstant abrufen konnten. Wir hatten einen sehr guten Start, haben alle Testspiele in der Vorbereitung gewonnen. Die Erwartungshaltung ist dadurch bei dem ein oder anderen gestiegen. Die Trainingsleistungen der Jungs waren durchweg sehr gut, leider haben wir das nicht immer in die Spiele übertragen können. Wir haben sehr viele Partien weggeschenkt und Punkte liegen gelassen, müssten mindestens fünf Zähler haben. Nuancen entscheidend über Sieg, Unentschieden oder Niederlage. Es ist Wahnsinn, wie knapp die Spiele in dieser Liga sind.

Der Vorsprung auf die bedrohliche Zone beträgt fünf Punkte. Befindet ihr euch im Abstiegskampf?
Es ist Wahnsinn, über Abstiegskampf sprechen zu müssen. Aber wenn es so kommen sollte, müssen wir uns dem stellen, ganz klar. Wir sind aber weit davon entfernt, unserer Spielweise komplett zu verändern, nur damit wir in der Liga bleiben. Das bringt uns nichts. Wir müssen uns nochmal als Team weiterentwickeln. Ich bin davon überzeugt, dass wir die Jungs auf Top-Level bekommen. Wir bereiten sie so vor, dass sie unsere Spielweise realisieren und sich nicht nur an Ergebnissen orientieren.

Gegen große Namen – wie im Derby gegen Dortmund – lief es richtig gut, gegen vermeintliche kleinere Teams eher weniger – wie erklärst du dir diese Diskrepanz?
Der VfL bildet sehr gut aus. Wir sind mit nahezu allen Mannschaften stets vorne dabei, in diesem Jahr vor allem die U16. Das spricht sich herum. Auch andere Trainer sagen, dass wir Top-Mannschaften haben. Einerseits ist das ein schönes Lob, dass wir auf dem richtigen Weg sind und das richtige Auge haben. Andererseits spielen die Teams gegen den VfL dadurch mit höchster Intensität, was es noch schwerer macht. 

Die gegnerischen Teams lassen den VfL dann wahrscheinlich kommen und lauern auf Konter.
Meiner Meinung nach ist es die Königsdisziplin, gegen tiefstehende Mannschaften zu spielen. Das ist brutal schwer. Unsere Art, Fußball zu spielen, bedeutet eben viel Ballbesitz, eine gute Restverteidigung zu haben und jederzeit fürs Gegenpressing bereit zu sein. Es gibt aber auch Spiele, wo wir 70 bis 80 Prozent Ballbesitz haben und dennoch nicht erfolgreich sind. Das liegt alles an Details. Wir hatten auch nicht das nötige Quäntchen Glück. Aber das kommt nicht von ungefähr, Glück muss man sich erarbeiten.

Wie siehst du euch mit dem diesjährigen U19-Kader aufgestellt?
Wir haben eine gute Breite im Kader, aber vielleicht nicht mehrere Spitzen. Da sind uns andere Mannschaften voraus, die einfach wahnsinnig viel investieren. Die sind uns finanziell überlegen. Wir setzen hingegen auf Kontinuität. Wir statten Spieler mit Zwei- oder Dreijahresverträgen aus, damit sie sich entwickeln können. Das ist unsere Philosophie, das werden wir auch in der Rückrunde so fortführen.

Wie fällt dein Zwischenfazit nach der Hinrunde aus? 
Von der Spielweise bin ich insgesamt zufrieden. Die Jungs sollen und wollen Fußball spielen, das machen sie auch. Es fehlt aber noch an den letzten Details. Daran müssen wir in der Rückrunde ansetzen. Da geht es um sehr viele technische Sachen. Beispielsweise hapert es an der Länge des Passes oder am letzten Pass. Positiv ist, dass das alles gut trainierbar ist. Die Richtung stimmt, wir hatten nur zu viele Ausschläge nach unten.

Im Jugendfußball geht es natürlich bei weitem nicht nur um Ergebnisse.
Wenn wir ein oder zwei Spieler pro Jahr zu den Profis hochschieben können, haben wir unser Ziel mehr als erreicht. Mit Tim Oermann ist uns das in der vergangenen Saison gelungen. Tim hatte gezeigt, dass er soweit war. Er hat super trainiert und viele Dinge adaptiert. Natürlich war es ein großes Risiko, ihn im Bundesliga-Spiel reinzuwerfen. Aber wenn du solch einen Jungen nicht spielen lässt, wirst du nie erfahren, ob er dem Druck standhalten kann oder nicht. So kommen junge Spieler in eine Mannschaft hinein. Auch in diesem Jahr haben wir den ein oder anderen interessanten Spieler dabei, der den Sprung schaffen kann.

Das hat also Priorität.
Das muss der Weg des VfL Bochum sein, das ist unser Weg. Wenn wir den ein oder anderen Spieler in den Profikader führen – und zwar so, dass er irgendwann auch Spielminuten sammeln kann, wissen wir –, warum wir das überhaupt machen. 

Ihr spielt in dieser Saison erneut nur eine Runde, also nur einmal gegen jeden. Wie stehst du zu dem System ohne Rückrunde?
Mich würde es wundern, wenn es zur kommenden Saison keine normale Spielrunde gäbe. Wir mussten uns dem Modus mit 15 Spielen stellen, das möchte ich auch gar nicht kritisieren. Wir haben im Gegenzug sehr viele Testspiele ausgemacht. Die Testspiele liefen super. Aber natürlich brauchen wir den Wettkampf, 25 bis 30 Spiele unter Wettkampfbedingungen. So lernen die Spieler am meisten, speziell im wichtigen Bereich der U19. Aber ich sehe auch Positives: So sind wir darauf angewiesen, in jedem Spiel die absolute Höchstleistung zu bringen. Und fast alle Spieler haben viel Spielzeit bekommen. Das ist unsere Philosophie. Wir geben jedem die Gelegenheit zu spielen.

Seit Ende Oktober 2022 hast du beim VfL eine Doppelfunktion inne. Neben deiner Arbeit als U19-Trainer bist du zum Sportlichen Leiter des Talentwerks aufgestiegen. Wie kommst du damit zurecht? 
Die neue Aufgabe macht mir verdammt viel Spaß. Ich habe nun auch viele Trainer unter mir und wir denken alle in eine Richtung. So können wir vieles anstoßen. Ich muss aber ehrlicherweise sagen, dass es in den vergangenen Monaten sehr, sehr viel war. Wahnsinnig viele Themen kamen auf mich zu. Natürlich war mir das im Vorfeld bewusst, aber das kann man nicht immer trennen. In Zukunft wird mir das gelingen, da bin ich mir sicher.

In welchen Situationen hat es sich bemerkbar gemacht, dass es sehr viel war?
Das hat ein oder andere Prozentpünktchen hat manchmal – total unbewusst – gefehlt. Beispielsweise kam ich mal fünf Minuten zu spät zum Training bei meiner U19. Das hätte es bei mir früher nie gegeben. Eineinhalb Stunden vor Trainingsstart muss ich bei meiner Mannschaft sein. Ich muss das Feld aufbauen, sehen, wo das Hütchen steht. Das brauche ich als Trainer. Mit Marc-André Kruska habe ich den besten Co-Trainer der Welt. Marc nimmt mir alles ab und macht das sensationell. Trotzdem muss es immer gemeinsam sein. Aber wenn in sportlicher Ebene wichtige Entscheidungen anstehen, ist das dann so. Dadurch habe ich gemerkt, dass ich das noch besser filtern muss. Aber das kommt dann mit der Zeit.

Mehrere Nachwuchscoaches aus dem Talentwerk haben zuletzt bei Trainingseinheiten der Profis hospitiert. Wie wichtig ist das für ihres Weiterbildung?
Wenn wir über inhaltliche Themen im Talentwerk sprechen, ist es mir wichtig, dass die Trainer die Erfahrung machen, auch mal bei den Profis auf dem Platz zu stehen. Dass sie zusammen mit dem Trainerteam die Abläufe kennenlernen, wie man plant, trainiert, nachbereitet und einfach den gesamten Prozess durchläuft. Denn sie kennen das so nicht. Die perfekte Organisation ist ganz wichtig. Ich möchte, dass sie Einblicke bekommen, wie kommuniziert und strukturiert wird. Sie sollen die Dynamik auf dem Platz kennenlernen und auch, wie technische Aktionen von Profis ausgeführt werden, im Unterschied zur U19 und zur U17. So merken sie, wo die jungen Spieler hinkommen müssen, welchen Weg sie dafür einschlagen müssen.

Drei Talentwerk-Spieler haben in der Wintervorbereitung die Chance bekommen, sich zu beweisen – Mats Pannewig, Florian Berisha und Jean-Philippe Njike Nana. Sie kamen auch in Testspielen zum Einsatz. Was zeichnet die drei aus?
Mats war inzwischen schon öfters bei den Profis dabei. Er bringt fußballerisch alles mit, ist technisch hochveranlagt. Dazu hat er eine gewisse Physis. Mats muss sich eben nur an dieses Tempo gewöhnen. Auch wenn das zurzeit noch nicht alles total explosiv aussieht, ist er ein richtig guter Kicker und macht das sehr ordentlich.
Jean-Philippe ist ein Jungjahrgang, hat noch ein Jahr U19 vor sich. Er soll sich bei den Profis zurechtfinden. Er ist ein richtig guter Spieler, macht seine Sache auch bei der Junioren-Nationalmannschaft gut. Jean-Philippe hat sich das einfach mal verdient. Auch Jean-Philippe soll sich an dieses Tempo gewöhnen.
Florian Berisha ist ein Mentalitätsspieler, den man einfach haben möchte. Er tut alles dafür, um immer auf dem Platz zu stehen. Wenn es um Mentalität geht, gehört er für mich einfach dazu. 

Nach welchen Kriterien wurden gerade die drei ausgewählt?
Wir haben versucht, ein rundes Gebilde zu schaffen. Dabei haben wir berücksichtigt, auf welchen Positionen Thomas Letsch am ehesten Spieler braucht, wo sie auch Spielzeit bekommen. Für die drei sprechen ihre aktuelle Form, ihre Persönlichkeit und ihre Fähigkeit, technische und taktische Dinge umzusetzen. Ich hätte auch noch andere nennen können, aber der ein oder andere kam aus einer Verletzungspause zurück, das war dann zu früh. Mohammed Tolba wäre ansonsten auch dabei gewesen. 

Du sprichst hin und wieder mit VfL-Cheftrainer Thomas Letsch, speziell über den Nachwuchs. Wie nimmst du ihn wahr?
Der Austausch mit Thomas Letsch und seinem Trainerteam funktioniert hervorragend. Wir haben uns schon öfter ausgetauscht, um zu besprechen, wie es strategisch und langfristig aussehen kann. Wir sprechen da eine Sprache. Ich finde es wichtig, weil die Einbindung des Nachwuchses mit dem Cheftrainer steht und fällt. Er hat den Ausbildungsgedanken und ein Faible für junge Spieler. Ausbildung ist verdammt wichtig, aber auch zeitintensiv, da muss ich ihm ein großes Kompliment aussprechen. Sich neben dem Tagesgeschäft Bundesliga noch um den Nachwuchs zu kümmern, ist verdammt viel Arbeit. Etwas Besseres gibt es nicht, die Jungs müssen dann nur noch liefern. Es ist wahnsinnig wichtig, dass sie diese Erfahrung machen, weil der Schritt in den Profibereich enorm ist. Das ist genau das, worauf wir sie tagtäglich vorbereiten.

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